Rudolf Brazda
- weberwaldweiler
- 1. März
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Aktualisiert: 1. März
Heute möchte ich euch wieder eine besondere Person vorstellen: Rudolf Brazda.
Rudolf Brazda wurde am 26.06.1913 in Brossen geboren. Seine tschechischen Eltern waren aus dem damaligen Österreich-Ungarn eingewandert und Rudolf wuchs in Brossen auf.
Aufgrund seiner fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft wurde ihm die gewünschte Lehrstelle als Schaufensterdekorateur nicht ermöglicht, er absolvierte dann eine Lehre als Dachdecker.
Mit 20 Jahren, also 1933 – das Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten – lernte Rudolf Brazda, der gerade sein schwules „Coming-Out“ erlebte, einen Mann kennen, der bei einer Zeugin Jehovas zur Untermiete wohnte. Rudolf Brazda zog bald auch dort ein. Obwohl die Vermieterin streng religiös war, hatte sie nichts gegen die Liaison der beiden einzuwenden und überließ ihnen sogar ihr Schlafzimmer. Rudolf Brazda war in der Zeit der Weimarer Republik aufgewachsen und hatte hier erlebt, dass Schwule und Lesben frei leben konnten. Zwar gab es schon den Paragraphen 175 im Reichsstrafgesetzbuch, der Beziehungen zwischen Männern unter Strafe stellte, doch dieser sei ignoriert worden, erinnert sich Rudolf Brazda später. Er berichtet von wilden Feiern und sogar von einer Hochzeit, die er 1934 mit seinem Freund feierte, bei der einer aus seiner Verwandtschaft als Pfarrer den Segen gegeben habe. Zu diesen Feiern seien auch Männer in Frauenkleidern erschienen, doch die Menschen seien damals so tolerant gewesen, dass sie die Lebensweise der Homosexuellen einfach hingenommen hätten.
Erste Begegnung mit den neuen Machthabern in Deutschland machte Rudolf Brazda in einem bekannten Leipziger Schwulentreff, wo sie von der SA „an den Haaren herausgeschleift wurden“. Besonders prekär: der damalige SA-Führer Ernst Röhm war selbst homosexuell und wurde am 01. Juli 1934 auf Befehl Hitlers erschossen.
Auch das Verhältnis von Rudolf Brazda mit einem Mann, mit dem er zusammen wohnte, geriet bald ins Visier der Nazi-Behörden und er wurde 1935 angeklagt. In dem aufsehenerregenden Prozess erzählte er über das Zusammenleben mit seinem Freund und sagte offen, dass er sich dafür nicht schäme. Rudolf Brazda erinnerte sich später daran, dass eine Zeitung damals schrieb: „Sie lebten zusammen wie Mann und Frau.“ Obwohl nach der damals gültigen Fassung des Strafgesetzbuchs lediglich die nachgewiesene „widernatürliche Unzucht“ strafbar gewesen wäre, wurde er zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt und nach seiner Haftentlassung als „vorbestrafter Ausländer“ in die Tschechoslowakei abgeschoben. Rudolf Brazda hatte bis zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen Tag in diesem Land verbracht und sprach weder Tschechisch noch Slowakisch.
Er zog schließlich ins Sudetenland, genauer nach Karlsbad, wo er einen neuen Lebensgefährten kennenlernte, der Kontakte zu einer Theatertruppe hatte. Rudolf Brazda schloss sich dem Ensemble an, zog mit ihnen durchs Sudetenland, trat in Operetten auf und arbeitete als Schauspieler und Tänzer. Seine beste Nummer war eine Josephine-Baker-Imitation.
1938 annektierte Nazi-Deutschland jedoch das Sudetenland und verhaftete recht bald die Juden der Theatertruppe. Am 01.04.1941 wurde auch Rudolf Brazda festgenommen und ohne Prozess im Gefängnis von Eger festgehalten. Nach 18 Monaten im Gefängnis wurde er ins KZ Buchenwald deportiert, wo er den „Rosa Winkel“ (ein Stoffaufnäher mit dem homosexuelle Häftlinge gekennzeichnet wurden) tragen musste, der außerdem noch mit einem „T“ (für Tscheche) versehen war. Er erinnerte sich später, dass ihm bei der Ankunft ein SS-Mann die goldene Kette – ein Geschenk seines Freundes – vom Hals riss.
Wie die meisten schwulen Häftlinge musste er zunächst im Steinbruch arbeiten, eine besonders harte Arbeit, bei der viele zu Tode kamen. Doch Rudolf Brazda hatte Glück: Ein Kapo (so wurden Funktionshäftlinge bezeichnet, die zu Mitarbeitern der Lagerleitung wurden, andere Häftlinge beaufsichtigen mussten und dafür Vergünstigungen erhielten), der für die SS die Arbeit der Häftlinge überwachte, verliebte sich in ihn und sorgte dafür, dass er als Dachdecker arbeiten durfte, in seinem erlernten Beruf. Die Arbeitsbedingungen waren hier deutlich weniger aufreibend und die Überlebenschancen entsprechend höher. Dennoch lebte er nicht ungefährlich. Als er eines Tages einem SS-Mann eine falsche Antwort gab, schlug ihm dieser 3 Zähne aus und kündigte für den nächsten Tag seinen Tod an. Auch diese Mal rettete der Kapo ihn, indem er überzeugend darlegte, dass Rudolf Brazda als Handwerker eine wichtige Arbeitskraft sei. Als im Frühjahr 1945 schließlich das KZ Buchenwald „evakuiert“ werden sollte und die Häftlinge auf lange und für viele todbringende Märsche geschickt wurden, konnte er sich mit Hilfe eines anderen Kapos in einem Schweinestall verstecken bis die Amerikaner das Lager am 11.04.1945 befreiten.
Nach dem Krieg ging Rudolf Brazda zusammen mit einem Mithäftling in dessen Heimat, das Elsass, wo Homosexualität nicht unter Strafe stand. Hier lernte er in den 1950er Jahren seinen Lebensgefährten Edouard Mayer kennen, den er, nachdem dieser aufgrund eines Arbeitsunfalls an den Rollstuhl gefesselt war, bis zu dessen Tod pflegte. Sie lebten in einem kleinen Haus, dass sie zusammen gebaut hatten.
In Deutschland blieb die von den Nazis verschärfte Version des Paragraphen 175, nach der bereits ein Blick als Beweis für Homosexualität gelten konnte, bis 1969 in Kraft. Eine Entschädigung für seine Gefängnis- und KZ-Haft hat er nie erhalten, wie die meisten verfolgten Homosexuellen. Seine 1989 und 1992 gestellten Anträge wurden abgelehnt, weil die Homosexuellen nicht zu den im Bundesentschädigungsgesetz genannten Verfolgtengruppen zählen und er als Ausländer auch keinen Anspruch auf Unterstützung aus den AKG-Härtefonds habe.
Als am 27. Mai 2008 das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht wurde, meldete sich die Nichte von Rudolf Brazda beim Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und erzählte von ihrem Onkel. Zu diesem Zeitpunkt war man davon ausgegangen, dass es keine überlebenden Zeitzeugen mehr gebe, die aufgrund von Homosexualität im KZ gewesen waren. Rudolf Brazda, der zu diesem Zeitpunkt 95 Jahre alt war, wurde daraufhin nach Berlin eingeladen und nahm an seiner ersten CSD-Parade teil. Er wurde zum Ehrenmitglied des LSVD Berlin-Brandenburg ernannt.
2009 besuchte Rudolf Brazda die Arolsen Archives und konnte Einblick in seine Originaldokumente aus dem KZ Buchenwald nehmen. Auf der Häftlings-Personal-Karte kann man lesen: Eingewiesen am: 8.8.42, Grund: § 175, Häftl.-Nr. 7952, daneben das Bild eines rosa Winkels, darüber schlicht: Homo. Unter Personen-Beschreibung: Grösse: 162 cm; Gestalt: schwach; Gesicht: oval; Augen: grau; Nase: gew., Mund, gew., Ohren: absteh.; Zähne: voll; Haare: schwaz; Sprache: dtsch. Beim Blick auf diese entwürdigenden Dokumente äußerte er, dass er mit der Vergangenheit abgeschlossen habe.
Im Mai 2010 erschien eine französische Biografie über sein Leben und im April 2011 die deutsche Biografie „Das Glück kam immer zu mir. Rudolf Brazda – Das Überleben eines Homosexuellen im Dritten Reich.“. Rudolf Brazda starb am 03.08.2011 in einer Pflegeanstalt und seine Asche wurde neben der seines Lebenspartners beerdigt.
Trotz seinen Gefängnisaufenthalten und den Erfahrungen, die er im KZ machte, blieb Rudolf Brazda ein lebensbejahender Mensch, der gerne und viel lachte. Er betonte, dass er oft Glück gehabt habe in seinem Leben und begründete dies damit, dass andere sterben mussten und er durchgekommen sei. So habe er einen jungen Mann erlebt, der sich nach der Ankunft im KZ die Augen ausgestochen habe, um ins Krankenlager zu kommen und der todbringenden Arbeit im Steinbruch zu entgehen. Er habe diesen jungen Mann nie wieder gesehen, weil ihn im Krankenlager lediglich die Giftspritze erwartet habe. Millionen von Menschen seien unter den Nationalsozialisten kaputt gegangen mahnt er, doch ihn hätten sie nicht zerstört, er schäme sich nicht.
Bei der Recherche für diesen Artikel bin ich über zahlreiche Informationen gestolpert, die ich in den nächsten Artikeln näher beleuchten will. So war mir z.B. nicht bewusst, dass der SA-Führer Ernst Röhm homosexuell war. Erschreckend war auch, was ich über den Umgang mit während des Naziregimes verurteilten Homosexuellen in Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus lesen musste. Wenn euch diese geschichtlichen Themen auch interessieren und ihr auch der Meinung seid, dass es wichtig ist, diese Dinge nicht zu vergessen, lest auch meine kommenden Beiträge und empfehlt meinen Blog weiter.
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