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Gefühle

Heute möchte ich über etwas sprechen, das jeder kennt, aber kaum einer wirklich versteht: Gefühle. Auch wenn das Thema sehr allgemein klingt, so gibt es auch hier geschlechterspezifische Probleme, auf die ich in diesem Artikel ebenfalls eingehen werde.


Was ist das überhaupt: ein Gefühl? Hier gibt es zahlreiche Theorien und Erklärungsansätze. Nicht nur die Psychologie hat sich mit dem Thema beschäftigt, sondern auch die Soziologie, Philosophie, Biologie, Kunst- und Musikwissenschaft, ja sogar die Politikwissenschaft, und noch viele mehr. Das Resultat ist eine Vielzahl unterschiedlichster Definitionsversuche, eine eindeutige und allgemeingültige Definition gibt es jedoch bisher nicht.

So werden Gefühle z.B. als Reaktionsmuster, die durch Umweltreize ausgelöst werden, beschrieben, oder aber als unbeeinflussbare neurophysiologische Reaktionen im Gehirn. Andere sind der Meinung, dass Gefühle soziale Konstruktionen sind, d.h. dass das uns prägende soziale Umfeld unsere Gefühle bestimmt.

Lange Zeit ging man davon aus, dass es universelle Basisgefühle gibt, die angeboren und kulturell übergreifend von allen Menschen gleich empfunden werden. Diese Annahme ist jedoch aufgrund neuerer Forschungsergebnisse in Kritik geraten, da sich diese so genannten Basisgefühle nicht in allen Kulturen universal bestätigen lassen.


Es ist also offensichtlich, dass „Gefühle“ ein sehr komplexes Themengebiet sind, über das wesentlich klügere Menschen als ich bereits unzählige Bücher geschrieben haben. Daher möchte ich mich in diesem Artikel nicht als Wissenschaftler dem Thema nähern, sondern die Erfahrungen, die ich in meinem Leben und meiner Arbeit gemacht habe, teilen.  


Bittet man jemanden Gefühle zu nennen, so wird er höchstwahrscheinlich sofort viele aufzählen können: Angst, Wut, Trauer, Liebe, Freunde, Enttäuschung, Scham, Neid, etc. Doch was passiert, wenn man dieselbe Person bittet, ihre Gefühle in diesem Augenblick zu benennen? Die Erfahrung zeigt, dass sich Menschen hier sehr viel schwerer tun. Entweder finden wir nicht das richtige Wort, oder unsere Gefühle sind nicht eindeutig zu erfassen. Hinzu kommt, dass wir uns nie wirklich Gedanken darum machen, wie wir uns gerade fühlen, es sei denn, unsere Gefühle überwältigen uns. Versucht es doch einfach einmal selbst und beschreibt, wie ihr euch jetzt gerade fühlt.

Dieses kleine Experiment macht eines deutlich: Gefühle sind wesentlich schwerer zu beschreiben, als die eben genannten Wörter es uns weismachen wollen. So kann sich zwar jeder etwas unter Angst vorstellen, doch das tatsächliche Gefühl, das erlebt wird, ist von Person zu Person und von Situation zu Situation unterschiedlich. Außerdem ist es in der Regel von anderen Gefühlen begleitet. Es ist sogar möglich augenscheinlich widersprüchliche Gefühle gleichzeitig zu empfinden. Ein Elternteil, das seinem erwachsen gewordenen Kind dabei hilft, die erste eigene Wohnung einzurichten, kann gleichzeitig Stolz, Freude, Trauer, Angst und Erleichterung empfinden und bestimmt auch noch viele andere Gefühle.


Welchen Zweck haben Gefühle? Auch hier streiten sich die Gelehrten. So gibt es die Ansicht, dass Gefühle uns zu einem bestimmten Verhalten veranlassen sollen, z.B. ich habe Hunger, damit ich Nahrung zu mir nehme; ich habe Angst, damit ich die gefährliche Situation verlasse. Aber auch hier wird schnell klar, dass das nicht auf alle Gefühle und alle Situationen zutrifft. Denn zu welchem Verhalten soll uns z.B. die Trauer, um einen geliebten Menschen veranlassen; oder die Erleichterung, wenn eine schwierige Situation überstanden ist?


Unbestritten scheint mir, dass Gefühle ein Zusammenspiel aus äußeren Einflüssen und deren subjektiver Verarbeitung und Bewertung sind. Das heißt, was ich in einer Situation fühle, hängt davon ab, wie ich die Situation wahrnehme und wie ich sie bewerte. Die Wahrnehmung und Bewertung der Situation ist wiederum abhängig von meiner Entwicklungsgeschichte, die durch die kulturelle und soziale Umwelt, in der ich aufgewachsen bin, beeinflusst wurde.

Ein sehr eindrückliches Beispiel hierfür, ist die lange vorherrschende geschlechterspezifische Erziehung in Bezug auf Gefühle. So wurde Jungen lange Zeit gesagt „Männer weinen nicht“. Es wurde also als falsch angesehen, wenn Jungen Trauer oder ähnliche Gefühlszustände offen zeigten. Bei Mädchen hingegen war Trauer erlaubt, dafür war Wut ein verbotenes Gefühl. Was passierte? Männer versagten sich den Zugang zum Gefühl Trauer und ersetzten es z.B. mit Wut, während Frauen sich die Wut versagten und sie z.B. mit Trauer ersetzten. Doch diese „Ersatzgefühle“ spiegeln nicht die tatsächlichen Emotionen wider und führen somit zu Problemen. Wie soll ich erkennen, dass ein wütender Mann in Wahrheit getröstet werden muss oder eine weinende Frau in Wahrheit wütend auf mich ist und ganz sicher keinen Trost von mir will?

In meiner Erfahrung ist ein wesentlicher Schritt zu einer besseren Kommunikation und zu einem besseren Verständnis der eigenen Probleme und Schwierigkeiten, sich die eigenen Gefühle zu vergegenwärtigen. Wenn ich erkenne, dass auch eine Frau wütend sein darf und dieses Gefühl ganz gezielt zulassen kann, kann ich auch ergründen, warum ich wütend bin, und kann etwas gegen die Ursache meiner Wut tun und für mich einstehen. Wenn ich als Mann meine Trauer zulassen kann und erkenne, dass dieses Gefühl seinen Sinn hat und nicht Ausdruck von Schwäche ist, kann ich mich trösten lassen und erkennen, wie hilfreich es sein kann, sich anderen Menschen anzuvertrauen.


Doch wie finde ich Zugang zu meinen Gefühlen? Für viele Menschen ist genau dies sehr schwierig. Ein erster Schritt können Achtsamkeitsübungen sein: ich halte in meinem täglichen Tun inne und nehme ganz bewusst wahr, wo ich gerade bin, was ich sehe, was ich höre, was in meinem Körper gerade los ist. Auf dieselbe Art und Weise kann ich auch beobachten, welche Gefühle ich gerade habe. Dann versuche ich diese Gefühle zu benennen und / oder sie einer anderen Person zu beschreiben. Allein das Aussprechen und Benennen der Gefühle führt häufig zu einem ganz anderen Begreifen der eigenen Emotionen und öffnet Wege zum Ursprung meiner Gefühle, mit der Möglichkeit etwas daran zu ändern oder daran festzuhalten. Tatsächlich ist es mir sehr häufig passiert, dass ich beim „in Worte fassen“ meiner Gefühle bei einem ganz anderen Gefühl rausgekommen bin als dem, bei dem ich gestartet bin, was mich zu völlig neuen Erkenntnissen über mich selbst gebracht hat.


In diesem Sinne wünsche ich euch, dass auch ihr eure Gefühle besser kennen und benennen lernt und euch dieses Wissen in eurem Leben bereichert.

 
 
 

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