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Polari - Die fast ausgestorbene Geheimsprache der Homosexuellen

Homosexualität war in Großbritannien genauso wie in vielen anderen Ländern lange Zeit verboten und wurde strafrechtlich verfolgt. Es war daher notwendig die eigene Homosexualität geheim zu halten. Um trotzdem Gleichgesinnte finden und mit ihnen kommunizieren zu können entwickelte sich in Großbritannien eine Art Geheimsprache – Polari.

 

Der Name Polari kommt vom italienischen „parlare“ für sprechen. Polari setzt sich zusammen aus Elementen der italienischen, englischen und französischen Sprache, der Sprache der Roma, später auch aus Elementen des Jiddischen. Außerdem wurden Elemente des Cockney „rhyming slang“ genutzt, ein Londoner Dialekt in dem einzelne Worte oder Phrasen durch sich darauf reimende Worte oder Phrasen ersetzt wurden. Auch Elemente des „back slang“ waren Teil der Sprache, hierbei wurden Wörter phonetisch rückwärts gesprochen, z.B. „hair“ wurde zu „riah“.

 

Es wird vermutet, dass die Sprache aus dem 16. Jahrhundert stammt und ursprünglich von Matrosen und Seefahrern genutzt wurde. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Sprache von italienischen Schaustellern im 19. Jahrhundert nach London gebracht wurde. In den 1930er Jahren wurde Polari hauptsächlich von Theater- und Zirkusleuten gesprochen, fand in den 1950er Jahren Eingang in die Pubs, in denen viele Homosexuelle verkehrten. Schnell wurde Polari von diesen übernommen, da es sich so, schnell und einfach über Sex reden ließ, ohne dass Außenstehende verstanden, worüber man sprach.

 

Berühmt wurde Polari durch eine BBC-Radiosendung, die von 1965 bis 1968 jeden Sonntag lief und sich „Round the Horne“ nannte. Die Comedy-Serie wurde von rund 9 Millionen Briten gehört. In dieser Serie gab es die Charaktere Julian und Sandy, die sehr stereotyp tuntig Polari sprachen. Diese übertrieben tuntige Selbstdarstellung von schwulen Männern in Polari wurde von den Homosexuellen dieser Zeit bewusst als Waffe gegen schwulenfeindliche Klischees eingesetzt. Durch den Erfolg der Serie fanden einige Wörter tatsächlich Eingang ins Mainstream-Englisch, so z.B. das Wort Drag (sich entgegen der traditionell für das eigene Geschlecht vorgesehenen Art kleiden).

 

Als Folge der Entkriminalisierung der Homosexualität 1967 und der in den 1970ern einsetzenden „Gay Liberation“ Bewegung verlor Polari an Bedeutung, da eine Geheimsprache nicht mehr notwendig war. Darüber hinaus wurde Polari als politisch inkorrekt angesehen, da eine ihrer Hauptfunktionen das Bewerten von Leuten war. Auch erinnerte Polari an homophobe Stereotypen, die man nicht weiter unterstützen wollte. In den 1990er Jahren wurde Polari nur noch von den älteren Homosexuellen gesprochen, heute ist die Sprache fast ausgestorben.

 

In der neueren Zeit ist das Interesse an Polari aber wieder erwacht. Grund dafür ist zum einen die Wiederveröffentlichung der Serie „Round the Horne“, aber auch die LGBTQ+-Bewegung und das Interesse an ihrer Geschichte. „Gay’s the Word“ veranstaltete Workshops in Polari, die „Sisters of Perpetual Indulgence” übersetzten die Bibel in Polari und in Madame JoJo’s Nachtclub in Soho wurde der Belegschaft Polari beigebracht.

2002 und 2003 veröffentlichte Paul Baker 2 Bücher über Polari, die er Polari: Fantabulosa: A Dictionary of Polari und Gay Slang and Polari: The Lost Language of Gay Men nannte.

 

Der Schriftsteller und Aktivist Paul Burston eröffnete 2007 den Polari Literary Salon in London um LGBTQ+ Schrifstellern eine Plattform zu bieten. 2011 rief er den Polari First Book Prize ins Leben, dem der Polari Prize (2019) und der Polari Children’s & YA Prize (2022) folgte. Auch andere Organisationen wurden von Polari inspiriert, so z.B. das Polari Magazine, das Vada Magazine und die VADA LGBTQ Community Theatre Company.

2012 und 2013 präsentierten die Künstler Jez Dolan und Joe Richardson eine Performance basierte Tour und Ausstellung, die Polari Mission hieß. Es ging bei dieser Ausstellung um die LGBTQ+-Geschichte und den Sprachgebrauch im Vereinigten Königreich. Sie wurde im The John Rylands Library und im Contact Theatregezeigt. 2015 übersetzte Jez Dolan Teile des Wolfenden Reports von 1957, in dem ein Komitee die Entkriminalisierung der Homosexualität empfahl, in Polari, für eine Kommission des Britischen Parlaments. Außerdem arbeiteten Dolan und Richardson mit Paul Baker zusammen um ein 500-Wort Polari-Wörterbuch als App zu erstellen, welches seit 2013 heruntergeladen werden kann. Im Dezember 2016 führte Adam Lowe sein Polari Gedicht „Vada That“ zur Feier des 50. Jubiläums der Entkriminalisierung der Homosexualität im Speaker’s House auf, begleitet vom Musiker Nikki Franklin. 2017 wurde eine Messe im Westcott House auf Polari abgehalten. Paul Baker veröffentliche 2019 sein drittes Buch über Polari, das er Fabulosa!: The Story of Polari, Britain's Secret Gay Language nannte.

 

Wer sich für die Sprache interessiert und mal hören möchte, wie sich eine Unterhaltung in Polari anhört, kann sich den Kurzfilm Putting on the Dish von 2015 anschauen, in dem sich zwei Männer 1962 in London auf einer Parkbank treffen und in Polari unterhalten. Oder man hört sich das Lied Girl Loves Me von David Bowie an, wobei das Lied nicht nur in Polari, sondern auch in Nadsat einem fiktiven Slang aus A Clockwork Orangegeschrieben ist. 

 

Doch auch weit entfernt vom Vereinigten Königreich findet man einen Einfluss von Polari. Auf den Philippinen benutzen junge Homosexuelle eine Geheimsprache, die Polari sehr ähnlich ist und Swardspeak oder Gay Lingo genannt wird. Sie ist eine Mischung aus Tagalog, Englisch und Spanisch und beinhaltet auch Elemente des Japanischen. Außerdem werden Namen berühmter Personen und Markennamen benutzt, die eine neue Bedeutung erhalten. Die Sprache ist im ständigen Wandel, alte Begriffe gehen verloren und neue kommen hinzu. War Swardspeak früher nahezu ausschließlich eine Sprache der Homosexuellen, wird sie heute auch von einigen heterosexuellen Personen gesprochen, um sich von ihrem konservativen Umfeld abzugrenzen.

 

In Deutschland gibt und gab es keine vergleichbare Geheimsprache, obwohl es auch hier einige typische Szenebegriffe gibt. Dennoch haben sich auch im Deutschen vereinzelt Polari-Worte durchgesetzt, wie man schon am eben erwähnten Begriff „Drag“, der auch in Deutschland verwendet wird, erkennen kann.

 

Hier noch ein kurzer Hinweis in eigener Sache: Wie ihr vielleicht bemerkt habt, habe ich letzte Woche keinen Artikel online gestellt. Dies ist vor allem fehlender Zeit geschuldet und hat mich zu der Erkenntnis geführt, dass mein anfänglicher Plan, jede Woche einen Artikel online zu stellen, etwas zu optimistisch war. Ich habe mich daher entschieden, nur jede zweite Woche einen Artikel zu bringen. Bitte entschuldigt diese Änderung, ich befinde mich noch in der Startphase meines Blogs und damit auch in einem Lernprozess. Da ich euch aber gut recherchierte Beiträge bringen möchte, die eben auch etwas Zeit in Anspruch nehmen, habe ich mich für diese Änderung entschieden.

 

Und noch eine Kleinigkeit: Habt ihr Ideen für weitere Artikel / Themenvorschläge? Dann immer her damit.

 
 
 

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